Wie ein beschnittenes Mädchen leidet!
Jedes Jahr werden drei Millionen afrikanische Mädchen Opfer einer brutalen Tradition: Ihnen werden die Genitalien verstümmelt. Die 19-jährige Jamila erzählt zum ersten Mal von ihrem grausamen Schicksal!
Für sie ist es ein großer Schritt! Und ein mutiger dazu! Zum ersten Mal in ihrem Leben will Jamila (19) offen über das sprechen, was ihr als 12-jähriges Mädchen angetan wurde - und worunter sie bis heute leidet: Damals wurden ihr Klitoris und Schamlippen abgeschnitten und die Scheide bis auf eine kleine Öffnung zugenäht. Grausame Tradition in ihrer afrikanischen Heimat, wo fast alle jungen Mädchen so entsetzlich verstümmelt werden! Und: Für viele geht die Gewalt danach noch weiter. Denn in Jamilas Heimatland herrscht Krieg. Die Entführung und Vergewaltigung junger Mädchen gehören zur Tagesordnung. Deshalb brachte ihre Mutter sie vor eineinhalb Jahren außer Landes ? nach Deutschland. Es war eine Fahrt ins Ungewisse, aber mit der Hoffnung auf ein neues, besseres Leben. Wir zeigen kein Foto von Jamila, weil sie nicht erkannt werden will. Auch ihren Namen haben wir geändert. Doch mit den erschütternden Erlebnissen, von denen sie berichtet, gibt sie den vielen leidenden Mädchen in Afrika eine Stimme . . .
DR.-SOMMER-TEAM: Du warst zwölf Jahre alt, als du beschnitten wurdest. Haben dich deine Eltern dazu gezwungen?
Jamila: Es war meine Mutter, die damals zu mir sagte: "Es ist nicht gut für dich, wenn du unbeschnitten bleibst." Sie meinte, die Leute würden dann schlecht über mich reden. Dann hat sie versucht, mich mit Geldgeschenken und Süßigkeiten zu überreden und behauptete, es sei alles gar nicht so schlimm. Ja, und dann wurde ich beschnitten. Und das, obwohl mein Vater strikt gegen eine Beschneidung war. Doch an dem Tag, als sie mich holten, war er nicht da.
DR.-SOMMER-TEAM: Und wer hat dich beschnitten?
Jamila: Ein Mann, der es bei den meisten Mädchen aus unserer Gegend gemacht hat. Er kam zu uns ins Dorf, in die Häuser der Mädchen. Zum Glück hat er mich wenigstens betäubt. Aber hinterher hatte ich große Schmerzen. Was ich nicht verstehe: Alle wissen, wie viele Folgen gestorben sind. Trotzdem hat keiner gesagt: "Hört auf damit!"
DR.-SOMMER-TEAM: Was meinst du, warum ist das so?
Jamila: Weil es Tradition ist und schon seit Ewigkeiten so gemacht wird. Die Menschen denken einfach nicht weiter darüber nach. Sie glauben, nur beschnittene Mädchen können mit einem Mann verheiratet werden.
DR.-SOMMER-TEAM: Also ist auch deine Mutter beschnitten. . .?
Jamila : Ich weiß es nicht. Danach habe ich sie nie gefragt.
DR.-SOMMER-TEAM: Bist du heute böse auf sie, dass sie dich nicht davor bewahrt hat?
Jamila: Nein, sie ist doch meine Mama, und ich liebe sie eben. Nach der Beschneidung versuchte sie mich zu beruhigen, meinte, es würde mit der Zeit schon wieder besser werden. "Ich kann jetzt nichts mehr machen", sagte sie. "Es tut mir leid." Sie stand damals auch sehr unter Druck. Meine Oma hat oft von ihr verlangt, sie müsse mich beschneiden lassen. Auch alle Nachbarn und Frauen haben ihr gesagt, dass es jetzt mal Zeit wird. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Die Frauen hatten sogar schon ein großes Fest dafür vorbereitet. Die Beschneidung hatte schlimme Folgen für mich: Während der Periode bekam ich immer entsetzliche Schmerzen. Sie hatten mir die Scheidenöffnung ja fast ganz zugenäht. Mit ganz engen Stichen - wie bei einem Reißverschluss. Durch die kleine Öffnung konnte das Blut kaum abfließen. Das tat so furchtbar weh. Ich fühlte mich dann irgendwie bestraft. Mein Leben wurde beherrscht von dieser Wunde. Dadurch bekommen wir Mädchen richtig Angst vor unserem eigenen Körper.
DR.-SOMMER-TEAM: Würdest du denjenigen anzeigen, der dich beschnitten hat?
Jamila: Auf jeden Fall. Und wenn er dann vor Gericht steht, würde ich allen klarmachen, dass Beschneidung eine schreckliche Tradition ist. Sie bringt nichts Gutes. Und wenn alle erfahren, dass sie sogar verboten ist und unter Strafe steht, werden sie vielleicht irgendwann damit aufhören. Doch vor allem Männer haben immer diese Angst. Sie denken: Unbeschnittene Mädchen hatten schon Geschlechtsverkehr. Das stimmt aber nicht. Keine von uns würde vor der Hochzeit mit einem Mann schlafen. Wir sind ehrbare Mädchen!
DR.-SOMMER-TEAM: Weil du von "wir" sprichst: Konntest du mit den anderen Mädchen offen über die Beschneidung und ihre schlimmen Folgen sprechen?
Jamila: Ja, in meiner Heimat habe viel mit anderen Mädchen darüber geredet. Über die Schmerzen bei der Regel und warum das denn alles sein muss. Ich habe immer zu ihnen gesagt: Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich mich wieder öffnen lassen. Die anderen fanden das sehr mutig von mir. Sie selber konnten es sich nicht vorstellen.
DR.-SOMMER-TEAM: Tatsächlich bist du inzwischen operiert worden. Dabei wurden deine Scheidenöffnung wieder vergrößert und auch die Vernarbungen behandelt. Wie fühlst du dich jetzt?
Jamila: Viel besser! Bereits am Tag nach der Operation war ich schmerzfrei. Auch während der Periode hatte ich zum ersten Mal keine Beschwerden mehr. Da war ich so erleichtert.
DR.-SOMMER-TEAM: Hast du dir je vorstellen können, wie es ist, endlich ohne Schmerzen zu leben?
Jamila: Ich habe dafür gebetet. Aber ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass es mir hinterher so viel besser geht. Ich hatte schon Angst, dass es nicht gut heilt. Ich kann sogar zum Beispiel wieder meinen Fuß auf den Tisch legen (lacht). Das ging vorher nicht, weil die Vernarbungen so gespannt haben. Heute Nacht habe ich meine Füße im Waschbecken waschen müssen. Da habe ich mitten in der Nacht einfach laut losgelacht - vor Freude. Ganz einfach, weil es ging! Ohne dass es irgendwo gezogen oder wehgetan hätte.
DR.-SOMMER-TEAM: Das war also das erste Mal, dass du deine Beine wieder richtig frei bewegen konntest?
Jamila: Ja. Denn mein Bein anzuwinkeln oder im Schneidersitz zu sitzen - das ging vorher gar nicht. Es war, als ob mich etwas zurückhielt. Deshalb ging ich auch immer mit kleinen Schritten, damit ja nichts einreißt.
DR.-SOMMER-TEAM: Wie hat sich das damals angefühlt?
Jamila: So schwer, als wäre ich vom Bauchnabel bis zu den Knien gefesselt. Jetzt komme ich mir viel leichter vor. Ich kann mich jetzt ganz anders bewegen und mich auch richtig bücken. Es ist, als hättest du mehr Platz. Eine riesige Erleichterung!
DR.-SOMMER-TEAM: Weiß denn deine Familie eigentlich schon von der Operation?
Jamila: Nein, noch nicht. Aber ich werde es ihnen bald sagen. Ich werde ihnen klarmachen, dass ich ja trotzdem noch Jungfrau bin und dass es mir seit dem Eingriff viel besser geht.
DR.-SOMMER-TEAM: Hast du noch regelmäßig Kontakt mit deiner Familie?
Jamila: Ja, oft. Was mir großen Kummer macht: Ich bin hier in Deutschland, in Sicherheit. Aber meine Mutter muss oft fliehen. Ihr wurde das Haus weggenommen. Ich weiß nie genau, ob sie in Sicherheit ist oder nicht. Wenn wir mal telefonieren, sagt meine Mutter: "Komm nicht her. Es ist so schlimm." Aber wenn eines Tages Frieden ist in unserem Land, möchte ich wieder zu ihnen.
DR.-SOMMER-TEAM: Du hast ja noch eine kleine Schwester. Ist sie auch beschnitten?
Jamila: Wahrscheinlich wird sie das Gleiche durchmachen müssen wie ich. Es kann sogar sein, dass es schon längst passiert ist.
DR.-SOMMER-TEAM: Solltest du später selbst mal eine Tochter haben - würdest du sie beschneiden lassen?
Jamila: Nein. Auch nicht, wenn mein künftiger Mann es so wollte. Solange ich lebe, wird meine Tochter niemals beschnitten. Dafür werde ich sorgen.
DR.-SOMMER-TEAM: Kannst du dir denn vorstellen, irgendwann zu heiraten? Und wäre der Mann dann aus deinem Kulturkreis?
Jamila: Natürlich träume ich davon zu heiraten. Was mir wichtig ist: Ich möchte eine Liebesheirat, einen Mann, den ich mir selbst aussuche. Am liebsten einen aus meiner Heimat. Mit dem gleichen Hintergrund und der gleichen Erziehung.
DR.-SOMMER-TEAM: Im Moment lebst du aber ja in Deutschland. Was ist dir hier besonders wichtig?
Jamila: Ich bin hier in Sicherheit. Es ist das aller erste Mal für mich, dass ich in Frieden leben kann. Es ist so schön, wenn du hingehen kannst, wohin du willst, und keiner tut dir was. Das ist so unglaublich schön!
DR.-SOMMER-TEAM: Und welchen Teil deiner Kultur kannst du dir hier erhalten?
Jamila: Unsere Art zu kochen und zu essen. Das liebe ich einfach.
DR.-SOMMER-TEAM: Warum darf eigentlich niemand wissen, dass du dich hier hast operieren lassen?
Jamila: Weil ich nicht will, dass einige Leute schlecht oder falsch über mich reden. Gerade jetzt, wo ich einen Freund habe. Ich bin sehr verliebt. Wir haben uns übers Internet kennengelernt. Er will mich
heiraten. Das Problem ist, dass er weit weg von mir lebt - in meiner Heimat. Und so lange dort Krieg ist, können wir uns nicht sehen.
DR.-SOMMER-TEAM: Was ist dein größter Wunsch für die Zukunft?
Jamila: Ich bin wirklich wahnsinnig verliebt. Mein Herz ist voll von meinem Freund. Ich wünsche mir so sehr, ihn zu sehen, mit ihm ganz normale Sachen zu machen, Kaffee trinken, einkaufen und so. Das wäre schön!
Das Interview führten Marthe vom DR.-SOMMER-TEAM und die Dolmetscherin und Autorin Fadumo Korn.
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