Kinder- und Jugend-psychiatrie! Wer dort Hilfe bekommt!
Ist der Körper krank, gehen wir zum Arzt. Doch was machen wir, wenn die Seele krank wird? Und woran kann ich oder jemand anderes überhaupt erkennen, wenn die Seele zu sehr belastet ist?
Dazu haben wir mit dem Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Eppendorf in Hamburg, Dr. Michael Schulte-Markwort, gesprochen. Zu ihm kommen jede Woche viele Kinder und Jugendliche, die nicht mehr weiter wissen und nach Lösungen für ihre Probleme suchen.
Bei BRAVO.de erklärt der Kinderpsychiater und Therapeut, wie Jugendlichen mit seelischen Problemen im Krankenhaus und darüber hinaus geholfen werden kann.
BRAVO.de: Was genau ist eine Psychiatrie für Kinder und Jugendliche?
Schulte-Markwort: Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist die Abteilung eines Krankenhauses, in die Menschen mit seelisch bedingten Problemen gehen können und in der sie behandelt werden, wenn sie das möchten. Jugendliche können dort ihre Sorgen dem Facharzt für die Kinderseele anvertrauen. Und das ist der Kinderpsychiater. Es gibt eine Ambulanz, wo zum Beispiel die ersten Gespräche stattfinden oder man im Notfall hinkommen kann. Und es gibt die Stationen, in denen die Patienten sind, die einige Zeit behandelt werden müssen und die bleiben möchten.
BRAVO.de: Kann ein Jugendlicher da allein hingehen oder müssen die Eltern mitkommen?
Schulte-Markwort: Bei Patienten unter 18 Jahren müssen normalerweise beim ersten Gespräch die Eltern dabei sein. Wenn aber ein jüngerer Mensch mit Problemen allein in die Ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie kommt, schauen wir natürlich trotzdem, wie wir ihm helfen können. Keiner wird abgewiesen! Die Eltern möglichst schnell im Gespräch dabei zu haben ist jedoch für einen guten weiteren Verlauf der Behandlung wichtig.
BRAVO.de: Mit was für Problemen kommen denn die meisten?
Schulte-Markwort: Sehr viele kommen, weil sie einen Leistungsknick in der Schule haben und sie sich stark belastet fühlen. Traurigkeit und depressive Stimmung machen ihnen zu schaffen und sie kommen allein nicht da raus. Manche entwickeln sogar eine richtige Schulangst oder andere Ängste, die sie zunächst nicht beeinflussen können. Manche leiden aber auch unter Schlafstörungen, fehlendem Appetit oder Unzufriedenheit mit dem Körper, die sich zum Beispiel in Essstörungen ausdrückt. Andere verletzen sich selbst oder wollen nicht mehr leben.
BRAVO.de: In ihrem neuen Buch „Burnout Kids“ beschreiben sie, dass immer mehr Kinder mit dem Burnout-Syndrom zu ihnen kommen…
Schulte-Markwort: Ja. Das beobachte ich seit einigen Jahren. Wir haben immer mehr Kinder, die innerlich und auch äußerlich so unter Leistungsdruck stehen, dass sie wegen völliger Erschöpfung zu mir kommen. Die Kinder und ihre Eltern spüren, dass sie das Ganze allein nicht mehr bewältigen können. Und dann ist oftmals wirklich ärztliche Hilfe erforderlich. Denn das geht über die normalen Stimmungstiefs der Pubertät weit hinaus.
BRAVO.de: Was passiert als erstes, wenn ein Patient zu ihnen kommt?
Schulte-Markwort: Also ich nehme mir im ersten Gespräch immer erst mal Zeit für ein Gespräch und erkläre, was genau ich mache. Dann lasse ich mir immer zuerst von dem Kind oder Jugendlichen berichten, was ihn zu mir führt. Danach frage ich auch die Eltern, wie sie das Problem sehen. So finden wir zusammen raus, ob der Patient richtig ist bei mir. Das ist wichtig. Denn wir möchten ja, dass sich jeder verstanden fühlt und dann auch freiwillig bleibt, um sich bestmöglich helfen zu lassen.
BRAVO.de: Kommen denn alle freiwillig in die Psychiatrie oder müssen manche auch gegen ihren Willen dableiben?
Schulte-Markwort: Wir kümmern uns immer darum, dass jemand möglichst freiwillig kommt. Ausnahmen gibt es nur, wenn jemand sich oder andere gefährdet. Bei akuten Selbstmordgedanken zum Beispiel, würden wir einen Patienten auch gegen seinen Willen auf der geschlossenen Akutstation aufnehmen. Aber das geht nicht so einfach. Vorher muss ein Richter mit dem Patienten sprechen und entscheiden, ob eine Einweisung gegen den Willen des Patienten zu seinem Schutz erforderlich ist. Dafür gibt es Gesetze, an die wir uns streng halten.
BRAVO.de: Wann sind denn Stationen geschlossen und wann kann man rausgehen? Und was ist mit Besuch?
Schulte-Markwort: Bis auf die Akutstation sind alle Stationen offen. Aber nach Absprachen bekommt auch jemand auf der Geschlossenen Ausgang. Für viele Patienten auf der geschlossenen Station ist es übrigens entlastend zu wissen, dass sie vor Gefahren von außen sicher sind und sie in diesem geschützten Raum gesund werden können.
Besuchszeit in der Psychiatrie ist bei uns nur einmal die Woche. Spontane Besuche sind nicht sinnvoll, weil die Klienten über den Tag verteilt in Therapien oder in der Klinikschule sind oder sich erholen müssen. Am Wochenende kommen die meisten dann von Samstagmorgen bis Sonntagabend nach Hause.
BRAVO.de: Wie lange bleiben die meisten auf der Station?
Schulte-Markwort: Zur Krisenintervention kann das in einigen Fällen kurz sein. Ein paar Tage. In der Regel bleiben sie jedoch acht bis zwölf Wochen. In der Zeit gehen sie hier in die Klinikschule, wenn sie nicht zu krank sind. Ist die eigene Schule in der Nähe, gehen sie manchmal auch weiter dorthin. Unser Ziel ist es immer, dass die Patienten so schnell wie möglich wieder am normalen Alltag teilnehmen können.
BRAVO.de: Und wie genau wird den Patienten geholfen?
Schulte-Markwort: Das kommt natürlich drauf an, was sie haben. Bei uns behandeln immer Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammen, um die Symptome zu verbessern. Dazu gehört Einzel-, Familien- und Gruppentherapie sowie Tanz-, Bewegungs-, Musik- oder Kunsttherapie. Das wird individuell zusammengestellt.
Es gibt außerdem sogenannte Skills-Gruppen, in denen zum Beispiel Borderline-Patienten lernen, was sie tun können, statt sich selbst zu verletzen, wenn sie den Drang danach verspüren.
Manchmal ist es auch erforderlich, dass ein Jugendlicher Psychopharmaka bekommt. Das sind Medikamente, die Symptome der Krankheit lindern können. Jugendliche bei uns bekommen allerdings – wenn überhaupt – nur Medikamente, die nicht süchtig machen und die Persönlichkeit nicht verändern.
BRAVO.de: Wie geht es weiter, wenn ein Patient entlassen wird und noch Hilfe braucht?
Schulte-Markwort: Wir sorgen immer dafür, dass Patienten nach der Entlassung ambulant weiterbehandelt werden. Das heißt, dass sie von zu Hause aus selber zu einem Arzt, Therapeuten oder einer anderen Stelle gehen können, wo ihnen geholfen wird. Wir helfen dann gern bei der Suche nach Fachleuten in der Umgebung des Jugendlichen. Manche kommen aber auch noch einige Zeit zu uns in Krankenhaus.
Buchvorstellung:
„Burnout Kids“! (engl. wörtlich: „ausgebrannte Kinder“)
Was kaum einer weiß, wird hier erklärt: Etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen brauchen ärztliche oder therapeutische Hilfe, weil ihre Seele erkrankt ist. Und viele von ihnen leiden unter den Folgen übermäßigen Leistungsdrucks, sind überfordert, erschöpft, depressiv und sehen keinen Ausweg mehr. Diagnose: Burnout-Syndrom! Eine Krankheit, die bisher vor allem Erwachsene bekamen, trifft jetzt auch Kinderseelen.
Mit einem liebevollen Blick auf junge Menschen wird erklärt, welchen Anforderungen Schüler heute standhalten müssen und wie oft und aus welchen oft völlig unverschuldeten Gründen es ihnen schwer fällt mitzuhalten. Der Versuch, es dennoch zu schaffen, macht viele Kids heute psychisch krank.
Die Botschaft ist deshalb: Du bist kein ein Einzelfall, wenn es Dir genauso geht. Trau Dich, komme rechtzeitig und hole Dir Hilfe. Psychiater sind Menschen, die helfen, dass es Kindern und Jugendlichen gut geht und sie ihren ganz eigenen Weg finden, das Leben zu meistern!
Der Autor:
Herr Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort ist Klinikdirektor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und leitender Abteilungsarzt am Altonaer Kinderkrankenhaus.
Das Interview führte: Marthe Kniep